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Der ängstlich-vermeidende Bindungsstil: Zwischen Nähe und Flucht

  • sattleringrid
  • 27. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Ein innerer Zwiespalt zwischen Sehnsucht und Angst


Die chaotische Welt der ängstlich-vermeidenden Bindung ist häufig geprägt von intensiven inneren Konflikten. Menschen mit diesem Bindungsmuster sehnen sich nach Nähe und Zugehörigkeit, zugleich fühlen sie sich von Intimität tief bedroht. Dieses Spannungsfeld erzeugt Unvorhersehbarkeit in ihren Beziehungen und birgt Schmerz – sowohl bei den Betroffenen selbst als auch bei ihren Partnerinnen und Partnern.

Die psychische Innenwelt dieser Personen ist oft stark durch frühkindliche Traumata fragmentiert. Symptome am „Äußersten“ der Skala zeigen sich etwa in Erscheinungsbildern, die nahe an Persönlichkeitsstörungen wie dem Borderline-Syndrom liegen.


Die Wiederholung traumatischer Muster


Die Psychologie beschreibt bei ängstlich-vermeidenden Formen häufig das sogenannte “Approach-Avoidance-Repetition-Compulsion”-Muster, nämlich das ständige Hin- und Her zwischen dem Wunsch nach Annäherung und dem Bedürfnis, sich zurückzuziehen. Diese Zyklen halten die Partner in einem emotionalen Ausnahmezustand gefangen, geprägt von intermittierender Verstärkung und kognitiver Dissonanz – zwei Mechanismen, die Abhängigkeit begünstigen (Kern et al., 2020).


Ursprung und Prägung: Ein unsicheres Fundament


Ängstlich-vermeidendes Bindungsverhalten entsteht häufig in Familien, in denen emotionale Zuwendung unregelmäßig oder unzuverlässig war. Kinder mussten oft Verantwortung für das emotionale Wohl der Eltern übernehmen – ein Phänomen, das als „Verstrickung“ bezeichnet wird.

Mangelnde klare Grenzen und häufige Grenzverletzungen sind typische Begleiter dieser Kinderentwicklung.

Stressfaktoren im familiären Umfeld wie Suchtverhalten, narzisstische oder borderline-Persönlichkeitsmerkmale eines Elternteils verstärken die Unsicherheit weiter (Main & Solomon, 1990).

Kinder lernen so:

  • „Die Welt ist unsicher und gefährlich.“

  • „Ich bin nicht genug.“

  • „Liebe ist schmerzhaft und unzuverlässig.“

Diese frühen Überzeugungen prägen ihr ganzes Leben und führen häufig zu inneren Fragmentierungen und der Schwierigkeit, sich als kohärente Person zu erleben.


Verhalten in Partnerschaften: Dynamiken voll Unsicherheit


Der ängstlich-vermeidende Bindungstyp wirkt nach außen oft widersprüchlich und schwer verständlich. Vielleicht kennst du jemanden, der Nähe zulässt, dann aber plötzlich wieder Abstand sucht – ein Wechselspiel, das Partnerinnen und Partner oft ratlos und frustriert zurücklässt.

Sie beobachten häufig die Körpersprache ihres Gegenübers und ziehen aus kleinsten Anzeichen Schlussfolgerungen über Vertrauensbrüche – was wiederum Konflikte und Missverständnisse befeuert (Hazan & Shaver, 1987).

Das ständige Misstrauen führt zu einem Gefühl der Kontrolle – aber auch einer Selbstsabotage von Beziehungen.


Emotionaler Rückzug und Kommunikationsprobleme


Menschen mit diesem Bindungsstil sind oft emotional nicht zugänglich, ihre Gefühle schwanken und werden nicht offen kommuniziert. Sie erschweren so eine offene Verbindung, was zu passiv-aggressivem Verhalten führen kann. Die Partnerschaften sind deshalb oft von Ambivalenz und Konflikten geprägt, obwohl ein tiefes Bedürfnis nach Liebe besteht (Grossmann & Grossmann, 2019).


Wissenschaftliche Erkenntnisse und aktuelle Forschung


Bindungsforscher wie Bartholomew & Horowitz (1991) beschrieben die ängstlich-vermeidende Bindung als Kombination von ausgeprägtem Angst- und Vermeidungsverhalten. Studien mit umfangreichen Stichproben (Brennan et al., 1998) bestätigten, dass Menschen mit hoher Vermeidungs- und Angstdimension Schwierigkeiten mit Nähe entwickeln und gleichzeitig vor Trennung fürchten.

Neuere Langzeitstudien deuten darauf hin, dass dieser Bindungsstil mit erhöhter emotionaler Dysregulation, Problemen der Selbstwahrnehmung und mitunter auch generalisierter Angststörung einhergeht (Mikulincer, Shaver, 2016).

Gleichzeitig ist eine starke Korrelation mit Traumafolgestörungen wie Dissoziation beobachtet worden (van der Kolk, 2014).


Die Herausforderung in Partnerschaften


Die Ambivalenz erklärt häufig wiederkehrende Konflikte, emotionale Achterbahnen und das Gefühl, nie wirklich „anzukommen“. Partner von Menschen mit ängstlich-vermeidendem Bindungsstil erleben oft Schuldzuweisungen, Rückzüge und unerklärliche Wutausbrüche.

Zudem sind manche Betroffene unfähig, ihre Bedürfnisse direkt zu äußern, was sowohl zu Frustration bei sich selbst als auch bei ihrem Partner führt (Feeney & Noller, 1990).


Praktische Tipps für Betroffene und Partner


  • Bewusstwerden und Reflexion: Erkenne, dass dein Bindungsstil aus Kindheitserfahrungen resultiert und nicht deine Identität bestimmt. Viele Therapeutinnen und Therapeuten betonen, dass Heilung durch Bewusstmachen beginnt (van Ijzendoorn et al., 2018).

  • Kommunikation üben: Öffne dich behutsam, ohne Ängste zu verurteilen oder herunterzuspielen. Authentizität und Geduld sind der Schlüssel.

  • Grenzen setzen: Partnerinnen und Partner sollten klare Grenzen wahren, sich nicht erpressen lassen und gleichzeitig bestärken, wenn sich der ängstlich-vermeidende Partner öffnet.

  • Professionelle Unterstützung: Therapieformen wie die Bindungsfokussierte Paartherapie (Johnson, 2008) oder EMDR für Traumafolgen helfen, die tieferliegenden Verletzungen zu heilen.


Ein Weg aus dem inneren Zwiespalt


Der ängstlich-vermeidende Bindungsstil ist geprägt von tief sitzenden Ängsten, widersprüchlichen Bedürfnissen und einer fragmentierten Psyche. Diese starken inneren Verwundungen erschweren stabile Beziehungen. Doch moderne Bindungsforschung zeigt, dass mit Mut, therapeutischer Unterstützung und reflektierendem Selbstverständnis Betroffene ihre Beziehungsfähigkeit und ihr emotionales Wohlbefinden maßgeblich verbessern können.

 

Quellen und weiterführende Literatur:

  • Ainsworth, Mary D. S. (1978). Patterns of attachment: A psychological study of the Strange Situation.

  • Brennen, Kelly, et al. (1998). Self-report measurement of adult attachment.

  • Bartholomew & Horowitz (1991). Attachment styles among young adults.

  • Mikulincer, Shaver (2016). Attachment in adulthood.

  • van der Kolk (2014). The Body Keeps the Score.

  • Johnson (2008). Hold Me Tight: Seven Conversations for a Lifetime of Love.

 

ree

 
 
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