Haben Narzissten keine Empathie? – Mythos und Wahrheit über ihre Gefühle und Manipulation
- sattleringrid
- 5. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Ob Narzissten empathisch sind, beschäftigt Wissenschaft und Gesellschaft gleichermaßen. Nach der Klassifikationen des DSM-5 gehört ein deutlicher Mangel an Empathie zu den Hauptmerkmalen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Doch das Bild ist differenzierter, als es auf den ersten Blick scheint.
Das Wort Empathie leitet sich aus dem Griechischen ab. Der Wortstamm -path wird mit „fühlen“ oder „leiden“ übersetzt. Empathie kann wörtlich mit einer heftigen bzw. intensiven Mitleidenschaft übersetzt werden.
Pathologische Narzissten zeichnen sich durch besonders toxische Manipulationstechniken aus, zu denen Love Bombing, Gaslighting und das sogenannte Silent Treatment zählen. Diese Verhaltensmuster dienen dazu, Kontrolle über andere Menschen zu gewinnen und sie emotional abhängig zu machen.
Love Bombing beschreibt die anfängliche Phase der übertriebenen, kaum authentischen Zuwendung: Der Narzisst überhäuft das Gegenüber mit Aufmerksamkeit, Komplimenten und Versprechungen, um schnell eine emotionale Bindung zu schaffen und Schwachstellen gezielt auszutesten. Viele Betroffene empfinden diese Anfangsphase als besonders intensiv und fühlen sich „gesehen“. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Strategie, um zu prüfen, wie leicht das Gegenüber manipulierbar ist.
Gaslighting ist eine Form der psychologischen Manipulation, bei der das Opfer systematisch an der eigenen Wahrnehmung und dem Urteilsvermögen zweifeln soll („Das hast du dir eingebildet“, „So war das nicht“). Ziel ist es, das Opfer zu verunsichern und in die Abhängigkeit zu treiben.
Das sogenannte Silent Treatment, also die bewusste Missachtung und das Schweigen über Stunden oder Tage, ist eine weitere Form der Machtausübung. Das Opfer wird emotional isoliert und so verunsichert, dass es sich selbst die Schuld zuweist und dem Narzissten noch stärker entgegenkommt.
Gerade weil Narzissten Schwächen ihres Gegenübers fast schon „intuitiv“ erkennen und gezielt ausnutzen, könnten Außenstehende meinen, es handele sich um eine Form von Empathie. Doch tatsächlich fehlt pathologischen Narzissten die Fähigkeit zur echten Gefühlsbeteiligung. Die sogenannte emotionale Empathie ist meist massiv eingeschränkt oder gar nicht vorhanden.
Empathie lässt sich in zwei Bereiche unterteilen:
Die kognitive Empathie, also die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle anderer zu erkennen und gedanklich nachzuvollziehen, und die affektive (emotionale) Empathie, das tatsächliche Mitempfinden und Mitfühlen mit anderen. Studien zeigen, dass Narzissten vor allem bei der affektiven Empathie stark eingeschränkt sind, echtes Mitgefühl empfinden sie selten. Ihre kognitive Empathie hingegen ist meist gut ausgeprägt. Sie sind also in der Lage, sehr genau zu erkennen, was in anderen Menschen vorgeht, wenn dies ihrem eigenen Vorteil dient.
Diese Fähigkeit zur kognitiven Empathie macht es Narzissten möglich, die Schwachstellen ihrer Mitmenschen treffsicher zu erkennen. Es handelt sich dabei aber nicht um echtes Mitgefühl, sondern um ein kalkuliertes Erfassen der Gefühlslage des Gegenübers. Ziel ist oft, dieses Wissen strategisch einzusetzen, sei es, um Menschen gezielt zu manipulieren, ihren eigenen sozialen Status zu stärken, sich Bewunderung zu sichern oder Macht über andere zu gewinnen.
Der Nutzen, den Narzissten aus dieser Fähigkeit ziehen, ist zentral für ihr Konzept der sogenannten narzisstischen Zufuhr („narcissistic supply“). Narzissten nutzen ihre Fähigkeiten, sich in andere hineinversetzen zu können nicht zum Wohle der anderen, sondern sie suchen damit nach Bewunderung, Bestätigung und Überlegenheit.
Indem sie Schwächen erkennen und gezielt darauf eingehen, können sie andere kontrollieren, sich überlegen fühlen oder sich als Mittelpunkt inszenieren. Besonders in Beziehungen wird dieses Wissen häufig manipulativ genutzt, etwa indem sie gezielt Schuldgefühle hervorrufen, Verletzlichkeiten ausnutzen oder das Selbstwertgefühl des Gegenübers untergraben, um Abhängigkeiten zu schaffen.
Die Wissenschaft ist sich darin einig, dass Narzissten mit echtem, tiefem Mitgefühl wenig anzufangen wissen. Sie erleben die Emotionen anderer nicht so, dass sie Rücksicht oder Fürsorge daraus gewinnen würden. Vielmehr nutzen sie ihre ausgeprägte kognitive Empathie zur Verfolgung eigener Ziele, oft auf Kosten ihrer Mitmenschen. Das grundlegende Defizit an emotionaler Empathie bleibt dabei bestehen, selbst wenn sie auf den ersten Blick „empathisch“ erscheinen mögen.
Diese Form der gezielten Manipulation verwirrt die Opfer zutiefst. Sie erleben Phasen, in denen der Narzisst extrem aufmerksam wirkt, aber keine echte Anteilnahme vorhanden ist. Für Betroffene entsteht daraus eine große Unsicherheit, da es sich oft so anfühlt, als würde der Narzisst auf einer tiefen Ebene „verstehen“, obwohl tatsächlich nur Eigeninteresse und Kontrolle im Vordergrund stehen.
Fazit:
Narzissten können sich ohne echte Empathie in andere hineinversetzen, aber ausschließlich, um ihre Mitmenschen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren und emotionale Kontrolle auszuüben. Narzissten nutzen ihre Fähigkeit, andere einzuschätzen, nicht aus Mitgefühl, sondern als Instrument für Manipulation und Bestätigung. Der dadurch mögliche Zugang zu den Schwachpunkten anderer ist zentraler Bestandteil ihres Strebens nach narzisstischer Zufuhr – einer unersättlichen Suche nach Aufmerksamkeit, Bewunderung und Kontrolle.





