Liebe im Zwiespalt: Warum sich Verlustangst und Bindungsangst magisch anziehen
- sattleringrid
- 2. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Verlustangst und Bindungsangst zählen zu den tiefgreifendsten Beziehungsmustern, die das Miteinander maßgeblich beeinflussen. Aufgrund ihrer zentralen Rolle in der Bindungspsychologie gewinnen ihre Ursachen, Ausdrucksformen und die Dynamiken, die sie in Partnerschaften entfalten, zunehmend an wissenschaftlichem Interesse. Im Folgenden wird detailliert erläutert, wie beide Ängste entstehen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie prägen und warum sie sich so häufig als “unsichtbares Traumpaar” in Liebesbeziehungen begegnen.
Was ist Verlustangst? – Ursachen und Merkmale
Verlustangst beschreibt die übermäßige Furcht, von einer wichtigen Bezugsperson verlassen zu werden. Betroffene sichern oft im Übermaß Nähe, bitten um Bestätigung, kontrollieren, klammern oder fallen in Eifersucht. Ursachen sind laut Bindungsforschung meist negative oder unsichere Bindungserfahrungen in der Kindheit, etwa durch emotionale Vernachlässigung, inkonsistente Zuwendung oder Traumata wie Trennungen oder den frühen Tod eines Elternteils. Neurobiologische Studien zeigen, dass frühkindlicher Stress nachweisbar die Regulation von Stresshormonen (z. B. Cortisol) beeinträchtigt und das Angstzentrum (Amygdala) sensibilisiert. Verlustängstliche Menschen zeigen im Erwachsenenalter oft einen sogenannten „ängstlich-ambivalenten Bindungsstil“, wie er in der Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth beschrieben wird.
Was ist Bindungsangst? – Psychologische und wissenschaftliche Einordnung
Bindungsangst, teils auch als „Commitment-Phobie“ bezeichnet, ist die Angst vor zu großer Nähe, Intimität und emotionaler Abhängigkeit. Betroffene sehnen sich nach Liebe, ziehen sich aber paradox zurück, sobald die Beziehung verbindlicher wird. Manche beenden Beziehungen frühzeitig, meiden tiefe Bindungen oder erleben Nähe als Druck und Überforderung. Bindungsangst ist laut Studien meist Ergebnis von schmerzhaften Bindungserfahrungen seien es erdrückende Eltern, wechselnde Bezugspersonen oder überwältigende Erwartungen in Bezug auf Nähe und Anpassung. Psychologische Studien belegen, dass Menschen mit vermeidendem Bindungsstil häufig geringe emotionale Offenheit und Nähe zulassen.
Was haben Verlustangst und Bindungsangst gemeinsam?
Beide Ängste wurzeln in frühen, oft unbewussten Beziehungserfahrungen und können im offenen oder verborgenen Wechselspiel das Verhalten in Erwachsenenbeziehungen prägen. Sowohl bei Bindungsangst als auch Verlustangst erleben Betroffene einen inneren Mangel an Sicherheit, häufig verursacht durch inkonsistentes oder angstbesetztes Bindungsverhalten der Eltern oder primären Bezugspersonen. Wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass in beiden Fällen ein hoher Leidensdruck entsteht, der sich als Unsicherheit, Beziehungsstress und psychosomatische Beschwerden äußern kann. Neuere psychologische und neurowissenschaftliche Studien (z. B. anhand von Bindungsinterviews und Cortisolmessungen) bestätigen, dass frühe Verlusterfahrungen oder Bindungstraumata risikofördernd für beide Muster sind.
Unterschied: Ursprung und Ausdruck beider Ängste
Verlustangst: Angst, verlassen zu werden, sucht verzweifelt Nähe und Bestätigung, Reaktion: klammern, bitten, kontrollieren, emotionale Abhängigkeit.
Bindungsangst: Angst, durch Nähe verletzt oder vereinnahmt zu werden, sucht Rückzug und Distanz, Reaktion: Fluchtimpulse, Gefühls-Rückzug, Kontaktabbruch.
Liegt der Bindungsangst eine Verlustangst zugrunde?
Bindungsangst ist häufig sekundärer Natur. Die Angst vor Bindung verweist nicht selten auf eine tieferliegende Verlustangst. Viele Bindungsängstliche fürchten letztlich die Enttäuschung, den Schmerz oder die Verletzlichkeit, die zu enge Bindung mit sich bringen könnte und schützen sich präventiv vor (erneuten) Verlusten, indem sie Nähe vermeiden. Bindungsforschung spricht deshalb von einer engen Verzahnung. Ohne die Urangst vor Verlust müsste Bindung keine Bedrohung sein. Auch Studien belegen diesen Zusammenhang, etwa die Arbeiten von Rainer Banse und Judith Fehr (2002), die zeigen, dass die emotionale Regulation eng mit früheren Verlust- und Ablehnungserfahrungen verknüpft ist.
Warum ziehen sich Verlustängstliche und Bindungsängstliche in Beziehungen oft an?
Paarbeziehungen zwischen verlustängstlichen und bindungsängstlichen Menschen sind auffallend häufig und werden auch „Angst-Dynamik“ oder „emotionales Verfolgungs-Spiel“ genannt. Folgende Mechanismen spielen dabei eine Rolle:
Der verlustängstliche Part sucht Sicherheit und Nähe, der bindungsängstliche Partner reagiert darauf mit Rückzug, Flucht oder Kälte.
Je mehr Bestätigung und Nähe die/der eine sucht, desto mehr fühlt sich die/der andere bedrängt und distanziert sich noch weiter.
Beide erleben dabei fortwährend ihre eigenen Ängste als bestätigt und verharren so in ihren Mustern.
Dynamik solcher Beziehungen: Kreislauf aus Nähe und Distanz
Solche Partnerschaften sind oft von Missverständnissen, Machtkämpfen und Frustration geprägt. Während ein Partner ständig die Angst vor Verlassenwerden spürt, fühlt sich der andere von zu viel Nähe bedroht. Der Kreislauf beginnt. Je mehr der verlustängstliche Part versucht zu klammern und Kontrolle auszuüben, desto mehr entfernt sich der bindungsängstliche Partner, was wiederum die Verlustangst verstärkt und umgekehrt. In der Literatur wird von der "Pursuer-Distancer-Dynamik" gesprochen, bei der sich beide Partner, scheinbar paradox, voneinander angezogen fühlen, da sie vertraute emotionale Muster (oft aus der Kindheit) wiedererleben.
Was hilft aktiv gegen Verlustangst? Wissenschaftlich fundierte Ansätze
Psychotherapien, insbesondere bindungstheoretische und verhaltenstherapeutische Methoden, zeigen nachweisbar positive Effekte.
Zentrale Strategien sind:
Selbstreflexion: Sich der eigenen Ängste und Muster bewusst werden, zum Beispiel durch Tagebuch, Gespräche oder psychologische Beratung.
Therapie: Besonders wirksam sind Verfahren wie die Schematherapie oder Bindungstherapie, die frühkindliche Muster aufdecken und neue Beziehungserfahrungen ermöglichen.
Kommunikationstraining: Offene, ehrliche Gespräche helfen Missverständnisse auszulösen und Angstspiralen zu durchbrechen.
Selbstwert-Arbeit: Aufbau von Selbstakzeptanz, Achtsamkeitsübungen, Stressreduktion und soziale Unterstützung stärken das Selbstbewusstsein.
Paartherapie: Gerade für Paare mit wechselnden Rollen aus Verlust- und Bindungsangst kann gemeinsame Therapie dabei helfen, destruktive Kreisläufe zu erkennen und neue Kommunikationsformen zu etablieren.
Verlustangst und Bindungsangst sind eng miteinander verwoben, grundlegend verschieden in ihrem Ausdruck, aber durch frühe Erfahrungen oft gemeinsam begründet. Ihre Dynamiken können Beziehungen massiv prägen. Bewusste Reflexion, Kommunikation und therapeutische Unterstützung ermöglichen neue, sichere Bindungserfahrungen und langfristige Heilung.





